Nicht vom Brot allein - Rede von Michael Daum am 8. Mai 2016 im Künstlerhaus Emersacker (c) Michael Daum, 2016 Herzlich willkommen im Künstlerhaus! Nicht vom Brot allein - darf 's vielleicht auch ein Schluck Prosecco sein? Nein - sooooo haben wir uns das nicht gedacht, mit dem Titel unserer Ausstellung, dass Brot allein zu wenig, und ein Glas Sekt dazu schon sein müsste. Zwar servieren wir Ihnen heute Brot, bedeckt mit leckeren Aufstrichen von Künstlerhand, dazu leichte Getränke wie Prosecco, Orangensaft, Mineralwasser. Solches tun wir aber immer bei unseren Ausstellungen hier im Künstlerhaus. Warum also der komische Titel? Die heutige Veranstaltung läuft ja, wie Sie alle wissen, unter dem Dach der Veranstaltungsreihe Kultour-Sommer, und dieser hat sich, wie Sie ebenfalls alle wissen, die Wortneuschöpfung "Kultinarisch" als Motto für 2016 gewählt. Das schmeckt nach Kult, vielleicht sogar Kultur in der edlen Kopfnote, viel Kulinarik, mjam, im Hauptbestandteil, und dann bemerken wir ja auch noch die kleine Spur "Narrisch" im Abgang. "Kultinarisch"! Wie passt denn da nun bitte die Schöne Kunst rein? Zu den Genüssen des Gaumens besteht, vom - für die Bildende Kunst so wichtigen - Auge aus betrachtet, erstmal gar keine rechte Verbindung. Ach ja, Sie meinen damals, im Barock, ok, ja damals, bei den immer wohlhabender werdenden Bürgern, den durch den Handel mit Ost-Indien gemästeten Niederländern, da war es ultra schick, sich die mit feinen Speisen gedeckte Tafel von versierten, sündhaft teuren Stilleben-Malern abpinseln zu lassen. Von der Gegenwart wird diese Kunst, SmartPhone sei Dank, jetzt aber nicht mehr benötigt. Mit dem Handy fotografieren ist viel billiger und geht schneller. Heute kannst Du Dein leckeres Mahl, noch bevor Du zur Gabel gegriffen hast, quasi ofenwarm, bei Facebook oder Twitter einstellen. Der Sinn des ganzen ist heute wie damals der gleiche: Freunde und Nachbarn neidisch machen! Oh, so lecker schmeckt 's bei mir. Oh, kannst Du Dir wahrscheinlich leider gar nicht leisten ... gibt 's bei mir aber alle Tage - D a s! - wollen wir die anderen mit solchen Bildern von unserem Essen zumindest glauben machen! Zu dem ganzen leckeren Essen gibt es für uns Künstler traditionell, so meinen die Leut', ja eine eher negativ geprägte Beziehung - brotlose Kunst, sagen sie! Ja, darunter subsummiert der Normalmensch doch die von uns Vieren hier gewählten Tätigkeiten: Malen, Zeichen, Modellieren! Bei Künstlers ist doch Schmalhans Küchenmeister - fette Kohle, die machen vielleicht mal Deine Erben! Irrtum! Weit gefehlt! Das Malen und Modellieren brotlose Künste seien, das haben wir Ihnen auf dem Weg in die Ausstellung, bitteschön, bereits auf das Deutlichste widerlegt! Schließlich pflastern Semmerln ihren Weg hierher. Eigens für Sie aus Beton geformt und mit Kaseinfarbe bemalt, bitteschön! Wie kann man denn da bitte noch von brotloser Kunst reden? Genug gescherzt. Ich habe Sie gerade eben ein bisschen an der Nase herumgeführt. Das ist sicher dem Wortbestandteil "narrisch" in Kultinarisch geschuldet. Verzeihung! Ursprünglich lag der Idee mit den Beton-Brötchen natürlich ein ganz anderer Gedanke zugrunde. Zum einen wollten wir Ihnen ein deutliches Wegzeichen an die Hand, oder besser an den Fuß geben, damit Sie sich auf dem Weg in die Ausstellung nicht verlaufen. (Die vielen Türen im Künstlerhaus sorgen schon immer für viel Verwirrung. Sowohl bei Besuchern wie bei Lieferanten. Einmal hat einer in seiner Verzweiflung direkt vor 'm Haus zum Handy gegriffen und angerufen, bei welcher Türe er denn nun bitte richtig sei.) Zum anderen ist da ja auch noch dieser unleugbare Bibel-Bezug des Themas. "Nicht vom Brot allein", das wissen Sie, dieses Satz-Fragment, das haben wir nicht etwa genial für diese Ausstellung erfunden, sondern für unsere Zwecke von woanders "adaptiert". So sagt man fein für "klauen", klingt nur viel eleganter. Das Original findet sich im Neuen Testament bei den beiden Evangelisten Lukas und Matthäus, jeweils Kapitel 4, Vers 1. In dieser Geschichte wird Jesus, der nach vierzigtägigem Fasten in der Wüste sicher nicht in bester Verfassung ist, vom Teufel nahe gelegt, doch einfach die Steine in Brot zu verwandeln. Was Jesus, mit diesem von uns gewählten Ausspruch, ablehnt. Ihm ist, auch wenn er noch so hungrig und schwach sein mag, sofort klar, dass der schleimige Kerl mit seinem Vorschlag nichts Gutes im Schilde führt. Somit ist diese kleine Anspielung mit den Beton-Semmeln geklärt. So richtig geklappt hat das mit dem Verwandeln von Stein in Brot bei uns im Künstlerhaus ja übrigens nicht. Auch wenn das Zubereiten von Teig und das von Beton noch frappante Ähnlichkeiten aufgewiesen haben mag; dem Endprodukt Beton fehlt es dann doch so ziemlich an allem, was dieses leckere Toskana-Brot hier auszeichnet. Ich komme noch einmal zurück zu Jesus in der Wüste, der besonderen Bedeutung von Steinen und Brot wegen. (Ist einfach ein tolles Thema.) Etwas noch unbelebteres als toten Stein kann man sich ja kaum vorstellen. Aus Stein wird Erde. Aus Erde wiederum schafft Gott den ersten Menschen, und zu Staub = Erde wird der Mensch im Tode, wodurch sich der Kreis wieder schließt. Steine gehen in der Bibel oft mit Tod, Leid und Schmerzen einher. Denken Sie an die grausame Strafe der Steinigung, und an den steilen, steinigen Weg ins Paradies. In der Bibel gibt es 270 Stellen, in denn Brot vorkommt, aber nur noch eine einzige weitere Stelle, wo Stein und Brot in einem Satz zusammen gehen: "Welcher ist unter euch Menschen, so ihn sein Sohn bittet ums Brot, der ihm einen Stein biete?" (Matthäus 7.9) Brot ist, im Gegensatz zum toten Stein, das Lebens-Mittel schlechthin. Es enthält außer Stärke und Eiweiß auch viele lebensnotwendige B-Vitamine. Kein Wunder, dass das Brot im christlichen Abendmahl für das (ewige) Leben steht, das uns durch Christi Tod geschenkt wird. Aber: nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sagt Jesus. Es braucht mehr als Brot allein, um zu überleben, um nicht "vor die Hunde" zu gehen. "Sorgt nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn Speise? und der Leib mehr denn die Kleidung?" sagt Jesus uns weiter in Matthäus 6.1. Was kann das nur sein, was wir Menschen außer dem Brot noch benötigen, um uns am Leben zu erhalten, und was vielleicht sogar noch wichtiger als "unser tägliches Brot" ist? Sehen wir uns einmal an, was die Künstler dazu so meinen. Da hätten wir Eva Krusche. Eva ist gelernte Grafikerin und Illustratorin und kommt aus einer Künstlerfamilie. Sie lebt seit 2 Jahren in Emersacker und ist hier mit siebzehn Arbeiten vertreten. Nicht nur für Kunstfans, auch für Kunstgeschichtler, Theologen und Psychologen sind ihre Bilder ein "gefundenes Fressen", denn Eva spart in diesen Arbeiten nicht an gehaltvollen Zutaten. Evas Bilder und Zeichnungen sind voll von wiederkehrenden, teils ein- teils mehrdeutigen Symbolen und rätselhaften Bezügen. Betrachten Sie diese Bilder mal ganz genau und achten Sie darauf, wie einzelne Bildelemente immer wiederkehren und was die variierenden Zusammensetzungen uns zu sagen haben: das Haus, die Blumen, der Früchtekorb. Die aus Händen geformte Kette im Bild mit dem Titel "Beisammen". Der Hut, die Kette und der Federkreis im Bild "Glück im Garten". Der Kopf aus polyedrischen Drahtgeflecht und die gruselige Maske mit dem Kreuz. Am besten fragen Sie sie gleich selber. Auf mich hinterlassen Evas Arbeiten einen Eindruck wie von intensiven Beschwörungen, die im Betrachter ein Gefühl von Geborgenheit, Glück und Gemeinschaft hervorrufen sollen - so als seien ihre Bilder als eine Art Schutz-Zauber gegen böse Mächte und lebensfeindliche Bedrohungen gedacht. Womit wir zu Johanna Meyr kommen. Ich bin jedes Mal sehr, sehr froh, wenn endlich alle Arbeiten für eine Ausstellung bei uns glücklich beisammen hängen. Und überrascht, wie positiv und einander förderlich Arbeiten ganz unterschiedlicher Kollegen dann zusammen als Einheit wirken können. So wie zum Beispiel Johannas grüner Kopf neben diesen Köpfen von Eva. Johanna Meyr ist eine studierte Malerin, sie leitet aber nebenbei auch noch eine Jugendkunstschule, die sie, wie ihre Familie, von ihrer alten Heimat Rosenheim nach Bonstetten mitgebracht hat. Letzte Woche hat sie übrigens noch eine weitere Ausbildung zur Kunsttherapeutin erfolgreich abgeschlossen. In Johannas Arbeiten können sie die ganze formale Vielfalt der abendländischen Kunst erleben: vom klassisch-expressiven Stilleben im Foyer, von orphistischen Anklängen in Mozart "Die Zauberflöte" über Figuratives bis hin zur fortschreitenden Abstraktion in "Boote im Hafen", "Evolution I und II" und "Prähistorische Reminiszenz". Anders als Eva Krusche sucht und findet Johanna Meyr in ihren Arbeiten die Zuflucht vor den Bedrohungen des Lebens nicht in erster Linie im Inhalt, dem Glück verheißenden vom Gegenstand abgeleiteten Symbol, sondern im wieder hervorrufen bewährter Positionen glücklicher Künstler-Vorbilder, deren Eigenheiten sie mal zu neuen, ganz eigenen Symbiosen zusammensetzt, mal gekonnt mit druckgrafischen Techniken kombiniert. Wahrscheinlich birgt für Johanna Meyr, die vermittelt über das Unterrichten von Kunst zum Heilen durch die Kunst kam, das Hervorbringen von Kunst selbst schon Heilung. So als sei das Kunst-Schaffen, das Heraus-Stellen innerer Prozesse vor sich selbst bereits alles, was nötig ist, um einen positiven, heilenden Prozess in Gang zu setzen. Als wir letzten Donnerstag vorletzte Hand an die Ausstellung legten, meinte Johanna, diese Steinnguss-Arbeit von Angelika mit dem Titel "Waiting" fände Sie - aus ihrer Sicht als Kunsttherapeutin - besonders unwiderstehlich. Die Stellung der Figuren ließe Sie sofort an systemische Therapie denken, mir und Ihnen wahrscheinlich eher unter der Bezeichnung "Familienaufstellung" geläufig. Ein Gedanke, der uns so noch nie gekommen war. Aber durchaus nahe liegend. Angelika Kienberger hat ja diesmal das Glück, als einzige vertretene Bildhauerin, noch ein paar mehr ihrer figürlichen Arbeiten zur Ausstellung beisteuern zu können als das sonst der Fall ist. Und das diesjährige Thema liegt ihr. Als Frau und Künstlerin steht bei Angelika Kienberger seit jeher die menschliche Figur, vor allem die weibliche, im Fokus. Es ist für mich schwer zu sagen, ob ihre innige Beziehung zum (weiblichen) Körper nun der Beschäftigung mit seiner äußeren Erscheinung voraus ging oder erst daraus folgte. In jeden Fall bildet sie das ganze Fundament ihrer künstlerischen Tätigkeit. Angelika bildet nicht nur einfach Körper ab, sie schlüpft bei der Arbeit förmlich in sie hinein, erfühlt sie von Innen, füllt sie aus, erfüllt sie mit Leben, mit tiefem innerem Empfinden. Ihre Figuren verströmen alle unterschiedliche Körper-Gefühle, die zugleich auch immer Seelen-Gefühle sind: innere Gelassenheit, innere Gespanntheit. Mal abwehrende Selbstsicherheit, die Anspannung vor dem großen Sprung, mal nur leichte Beunruhigung, dann wieder völlige innere Einkehr. Mit dieser inneren Berührtheit der Figuren gelingt es Angelika immer wieder, andere zu berühren. Manchmal finden ihre Figuren aus der primären Vereinzelung zueinander, in ihren Paarbildern werden alle trennenden Konturen aufgelöst, sie verschmelzen. Mutter und Kind, Liebende und Liebender werden eins. Bei meinen Arbeiten - nun, es fällt nie leicht, das Wesentliche eigener Arbeiten selbst in ein paar Sätzen zusammen zu fassen. Zudem habe ich mein Pulver bei den drei anderen schon ziemlich verschossen. Und zu guter Letzt haben Sie inzwischen wahrscheinlich eh genug von meinem ewigen Gerede. Zu den Arbeiten von Michael Daum sei so viel gesagt: Irgendwo zwischen den drei beschriebenen Positionen ist noch Platz für eine, die meine, vierte. Es ist ein bisschen von allen drei vorherigen Plus der Zutat eines leicht von mittelalterlicher Mystik angehauchten Impressionismus. Für mich als unheilbarem Impressionisten liegt ja alles Glück der Malerei und Zeichnung im Augenblick allein, den es treffend fest zu halten gilt. Mir als malendem Laien-Mystiker wird durch die meditative Versenkung in mein eigenes Erleben des sinnlich Geschauten dabei manchmal zum Sinnbild des Lebens schlechthin. Kleinstes und Größtes, Individuum und Universum können einem beim mystischen Schauen - wenn 's denn klappt - hoffentlich schon mal in Eins fallen. Und das tut dann sau gut! Sie sehen, auf die Frage, wovon außer dem Brot der Mensch noch leben mag, gibt das Künstlerhaus heute wohl mindestens so viele Antworten, wie es Anwesende gibt. Denn jeder hat seine eigenen Ideen davon, was ihn sicher und wohl behütet am Leben hält. Wir bieten Ihnen von heute an bis zum 29. Mai Gelegenheit, sich selbst ein Bild davon zu machen. Davon, was uns Ihrer Meinung nach, zu unseren Bildern bewogen haben mag. Und, wichtiger: davon, wovon Sie selbst überzeugt sind, dass es wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, als ihr tägliches Brot ist.